Videointerviews im Recruiting

Videointerview

Soziale Kontakte sollen momentan zum Schutz der gesamten Gesellschaft auf ein Minimum reduziert werden. Um weiterhin erfolgreich zu rekrutieren, sind in diesen Zeiten Videointerviews besonders sinnvoll. Bei Helvetia werden bereits seit 2017 Erstgespräche mit potenziellen Mitarbeitenden über Video durchgeführt. Martin Maas erklärt uns, was bei Videointerviews zu beachten ist und wie diese zum Erfolg führen können.

Was waren die anfänglichen Herausforderungen bei der Durchführung von Videointerviews?

Martin Maas: Es gab keine wirklichen Schwierigkeiten. An manchen Stellen brauchte es etwas Überzeugungsarbeit und technische Unterstützung, um Unsicherheiten und Vorbehalte abzubauen.

Eignen sich Videointerviews für alle Stellen?

Für einen generellen Ersteindruck eines Kandidaten kann man Videointerviews aus meiner Sicht für alle Stellen einsetzen. Um eine Stelle auch endgültig zu besetzen, braucht es bei manchen Stellen auch den direkten, persönlichen Kontakt, wenn es bspw. um physische Arbeitsproben geht. Ob man eine finale Stellenbesetzung zwingend nur nach einem persönlichen Gespräch vornehmen möchte, ist meiner Meinung nach eine individuelle Entscheidung. In einem Social Media Post der letzten Tage erst habe ich genau zu den Thema gelesen, dass keine wissenschaftlichen Studien bekannt sind, die langfristige Vorteile einer persönlichen Selektion gegenüber einer Videointerviewauswahl belegen.

In welchen Situationen greifen Sie – abseits der Coronakrise – auf Videointerviews zurück?

Für Erstgespräche nutzen wir Videointerviews sehr häufig, wenn es etwa auf beiden Seiten Terminengpässe gibt oder der Kandidat weit weg wohnt und wir ihm die Anfahrt für ein erstes Kennenlernen ersparen möchten. Wir hatten auch schon Kandidaten, die aus ihrem Afrikaurlaub aus mit uns Videointerviews führten.

Es sind keine wissenschaftlichen Studien bekannt, die langfristige Vorteile einer persönlichen Selektion gegenüber einer Videointerviewauswahl belegen.

Welches Tool nutzen Sie für Videointerviews?

Wir haben ein internes Videokonferenztool, das wir überwiegend nutzen und das den allgemeinen Datenschutzbestimmungen entspricht. Bei technischen Schwierigkeiten auf Seite der Kandidaten können wir aber auch spontan auf andere Tools wechseln.

Welche Tools empfehlen Sie?

Viele Unternehmen führen ja auch heute schon extern und intern Videokonferenzen durch. Sofern man mit diesem Tool externe Personen einladen kann und diese unkompliziert der Videokonferenz beitreten können, braucht es kein neues Tool. Wer noch kein Tool hat und nicht viel investieren möchte, kann gängige Video-Messenger, wie Google Hangouts, Skype, GoToMeeting oder im Notfall auch WhatsApp nutzen.

Wie unterscheidet sich ein Videointerview von einem persönlichen Bewerbungsgespräch?

Abgesehen vom direkten persönlichen Kontakt samt Händedruck gibt es keine gravierenden Unterschiede. Als Kandidat und Recruiter bzw. Hiring Manager muss ich mich auf mein Gegenüber und das Gespräch in beiden Fällen genauso vorbereiten. Körpersprache, Outfit, verbale und nonverbale Kommunikation und fachliche Fähigkeiten sind sowohl im Videointerview als auch im persönlichen Gespräch gleichermassen erfassbar und helfen beiden Seiten, einen Gesamteindruck des Gesprächspartners zu bekommen.

Was sind die Vor- bzw. die Nachteile von Videointerviews?

Der persönliche Kontakt ist nur schwer zu ersetzen – manche sagen, durch gar nichts. Die grössten Vorteile sind die örtliche Flexibilität und die Zeitersparnis, für uns selbst als auch die die Kandidaten. Wer sich generell unwohl fühlt, wenn eine Kamera auf ihn gerichtet ist und dadurch sehr nervös wird, wird Videointerviews wahrscheinlich eher weniger mögen.

Bedarf es einer besonderen Vorbereitung bzw. was muss man als Recruiter beachten?

Als Recruiter und insbesondere als Hiring Manager stellt man auch im Videointerview den ersten persönlichen Kontakt und den damit verbundenen ersten Eindruck her. Im Videointerview entscheidet sich, so wie im persönlichen Gespräch auch, schon nach wenigen Minuten für den Kandidaten, ob er überhaupt in ein zweites Gespräch möchte. Daher gilt es für das Unternehmen auch im Videointerview zu überzeugen – mit dem richtigen Setting, einer funktionierenden Technik und einer sauberen Vorbereitung des Gesprächs.

Die grössten Vorteile sind die örtliche Flexibilität und die Zeitersparnis, für uns selbst als auch die die Kandidaten.

Dabei sollte Folgendes im Vorhinein geklärt und mit ein paar Probeläufen getestet werden:

  • Habe ich die Broschüren oder Flyer, die ich sonst zeige, für das Videointerview digital verfügbar und können diese über das Videotool mit dem Kandidaten durchgehen?
  • Kenne ich die wichtigsten Funktionen des Tools und kann ich den Kandidaten ggf. bei technischen Themen unterstützen?
  • Kann ich Videos, die ich sonst zeige, auch über das Tool abspielen?
  • Habe ich einen Meetingraum gebucht, der genügend Licht hat und nicht durch laute Umgebungsgeräusche auffällt, und gibt es eine stabile Internetverbindung?
  • Habe ich im Vorfeld getestet, ob auch mehr als zwei Personen am Videointerview teilnehmen können, wenn sich Recruiter, Hiring Manager und Kandidat an unterschiedlichen Standorten befinden?

Haben Sie konkrete Tipps, was man beim Durchführen von Videointerviews beachten soll?

Sofern die genannten Punkte zur Vorbereitung in Ordnung sind, gelten im Prinzip keine anderen Grundregeln als im persönlichen Gespräch. Besonders achten sollte man auf eine laute und deutliche Sprache und auch darauf, nicht zu viel Bewegung im Bild zu erzeugen, damit es hier nicht zu eventuellen Bildrucklern bei nicht optimalen Verbindungen kommt. Wenn man Dokumente oder Unterlagen gemeinsam über das Tool anschaut, sollte man sich immer vergewissern bzw. beim Kandidaten rückfragen, ob er die geteilten Inhalte auch sehen kann.

Was sind die Reaktionen der Kandidaten, wenn Sie ein Videointerview vorschlagen?

Da wir nur in Ausnahmefällen Stellen ausschliesslich per Video besetzen, ist es für die Kandidaten kein Problem, da das persönliche Gespräch immer noch stattfinden wird. Die These, dass die Jüngeren die wenigsten Berührungsängste mit Videointerviews haben, kann ich jedoch nicht bestätigen.

Haben Kandidaten immer die nötige Infrastruktur für ein Videointerview?

Meiner Erfahrung nach ja. Ein Smartphone besitzt heute «jeder». Und mehr braucht es auch nicht.

Wie sollen Recruiter die Kandidaten auf das Videointerview vorbereiten?

Trotz der vorherrschenden Smartphonedichte empfiehlt es sich, den Kandidaten trotzdem zu fragen, ob er die technisch notwendige Ausstattung für ein Videointerview besitzt. Darüber hinaus hilft es, nochmal zu betonen, dass sich beide Seiten per Video zeigen, d.h. auch der Kandidat samt seiner Umgebung vom Recruiter und Hiring Manager gesehen wird – das motiviert den ein oder anderen, nochmal kurz aufzuräumen. Wir empfehlen zudem, sich einen ruhigen, ungestörten Ort mit gutem Internetempfang zu suchen.

Glauben Sie, dass Videointerviews, auch abseits von Corona immer mehr kommen werden?

Definitiv – und Corona wird dafür sorgen, dass die Entwicklung in diesem Thema an Fahrt aufnehmen wird. Das ist eine grosse Chance für Unternehmen, sich jetzt damit auseinanderzusetzen.
Martin MaasMartin Maas blickt auf zehn Jahre Erfahrung im Employer Branding und Recruiting zurück. Sieben Jahre betreute er das Employer Branding bei der Daimler AG. Seit 2017 verantwortet er fachlich das Employer Branding für die Helvetia Versicherungen Schweiz. Als Hochschuldozent, Speaker und Autor gibt er sein Wissen seit vielen Jahren im DACH Raum weiter.
 

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