Braucht es einen gesetzlichen Vaterschaftsurlaub in der Schweiz?

Den frisch gebackenen Vätern unter den Mitarbeitenden einen Vaterschaftsurlaub zu gewähren, der über einen oder zwei Tage hinausgeht, machen in Schweiz nach wie sehr wenige Arbeitgeber. Linda Rosenkranz von der Initiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie » schildert uns, warum sich das längst schon ändern sollte.

Mathias Steger: Wann und warum wurde die Vaterschaftsurlaubs-Initiative lanciert?

Linda Rosenkranz: Die Initiative wurde am 24. Mai 2016 lanciert. Ausgangpunkt war der Entscheid einer parlamentarischen Kommission, dass auch zwei Wochen Vaterschaftsurlaub zu viel seien. Das konnten und wollten wir nicht auf uns sitzen lassen.

Was sind die wichtigsten Ziele der Vaterschaftsurlaubs-Initiative?

Es ist längst überfällig, dass Väter die Zeit erhalten, gemeinsam mit der Familie in den neuen Lebensabschnitt zu starten. Ein gemeinsamer Start ermöglicht auch wichtige Schritte in Richtung echter Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Ein zweites wichtiges Ziel ist es, dass nicht nur Angestellte von Grossfirmen oder Verwaltungen von einem Vaterschaftsurlaub profitieren können. Auch der Schreiner im KMU oder der Frisör soll von einem vernünftigen Vaterschaftsurlaub profitieren können. Damit sich die KMU das leisten können, braucht es einen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub.

Es ist längst überfällig, dass Väter die Zeit erhalten, gemeinsam mit der Familie in den neuen Lebensabschnitt zu starten

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe, warum es einen Vaterschaftsurlaub von vier Wochen braucht?

Väter haben heute in der Schweiz einen einzigen Tag Vaterschaftsurlaub. Das gibt es sonst so in keinem europäischen Land. Väter wollen heute einen aktiven Part in der Familie übernehmen. Ausserdem profilieren sich Grossunternehmen immer stärker über einen anständig langen Vaterschaftsurlaub. Das ist unfair gegenüber KMU in der Schweiz, die sich einen solchen Vaterschaftsurlaub nicht leisten können.

Heisst das also, dass ein langer Vaterschaftsurlaub für die Unternehmen sehr teuer ist?

Ein gesetzlich verankerter Vaterschaftsurlaub ist für die Unternehmen finanziell interessanter, da die Kosten von Unternehmen und Arbeitnehmenden geteilt werden – er wird über die Lohnprozente für die EO finanziert. Und da die EO immer weniger Geld für geleisteten Militärdienst bezahlen muss, muss der Beitrag auch nicht zwingend erhöht werden. Richtig teuer ist es, wenn das Unternehmen alleine bezahlen muss, damit es überhaupt interessant bleibt als Arbeitgeber.

Was sind mögliche Nachteile bei einem längeren Vaterschaftsurlaub?

Nachteile gibt es keine. Aber es muss neu gedacht werden. 20 Tage Vaterschaftsurlaub, die flexibel innert dem ersten Lebensjahr des Kindes bezogen werden können, müssen in einer Unternehmung organisiert werden – wie auch der Militärdienst. Das kann mühsam sein, ist aber eine Frage der Einstellung.

Wer würde die Kosten tragen?

Die Kosten würden durch die Erwerbsersatzordnung (EO) getragen. Arbeitnehmende und Arbeitgeber zahlen zu gleichen Teilen in diese Kasse ein. Das würde pro Partei für 20 Tage Vaterschaftsurlaub 0.06 Lohnprozente ausmachen. Bei einem durchschnittlichen Lohn ist das weniger, als eine Tasse Kaffee im Restaurant kostet.

Die Schweiz ist in Europa das einzige Land, das weder einen bezahlten noch das Recht auf einen unbezahlten Vaterschaftsurlaub bietet.

Wie reagiert die Wirtschaft bis jetzt auf diesen Vorschlag?

Nicht erfreut. Argumentiert wird mit den Kosten. Aber Hand aufs Herz: Eine knappe Tasse Kaffee pro Monat muss mindestens drin liegen für eine zukunftsfähige Familienpolitik in der reichen Schweiz.

Es gibt auch Bestrebungen, anstelle von Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub einen gemeinsamen Elternurlaub anzubieten. Wie stehen Sie dazu?

Travail.Suisse befürwortet grundsätzlich einen Elternurlaub. Für eine Gleichstellung, die diesen Ausdruck verdient, ist eine Elternzeit unabdinglich und zwar mit reservierten Zeiten für die Mütter wie auch für die Väter. Die Eidgenössische Kommission für Familienfragen hat ein Modell rechnen lassen, das zum Schluss kommt: 38 Wochen Elternzeit ist die ideale Zeitdauer und zwar familien- und wirtschaftspolitisch. Ob die Schweiz politisch bereit ist für eine Elternzeit, wage ich zu bezweifeln.

Sehen Sie beim Thema Vaterschaftsurlaub Unterschiede zwischen der Deutschschweiz und der Romandie bzw. Unterschiede zwischen den Kantonen?

Die Romandie ist in gesellschaftspolitischen Anliegen immer etwas fortschrittlicher als die Deutschschweiz. Am Schluss stehen wohl die konservativeren katholischen Kantone wie etwa die Innerschweiz. Aber das sind Spekulationen.

Wie sieht es mit dem Vaterschaftsurlaub im Vergleich zu anderen Ländern aus?

Die Schweiz ist in Europa das einzige Land, das weder einen bezahlten noch das Recht auf einen unbezahlten Vaterschaftsurlaub bietet. Das alleine sagt genug aus.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass der Vaterschaftsurlaub in der Schweiz gesetzlich kommt? Wäre dies dann kantonal oder national geregelt?

Dafür haben wir unsere Initiative lanciert. Sie wurde – gemeinsam mit dem Gegenentwurf, der 10 Tage Vaterschaftsurlaub fordert – am 20. Juni vom Ständerat behandelt, der sie leider abgelehnt hat. Immerhin hat er sich für den Gegenentwurf ausgesprochen. Folgt ihm der Nationalrat im Herbst, so stehen die Chancen gut, dass es mindestens die 10 Tage Vaterschaftsurlaub gibt in der Schweiz. Aber ehrlich: in einem so reichen Land wie der Schweiz keine anstLinda Rosenkranzändige Familienpolitik zu betreiben und damit auch nichts gegen den drohenden Fachkräftemangel zu unternehmen, ist und bleibt ein Armutszeugnis.
Linda Rosenkranz ist Leiterin Kommunikation bei Travail.Suisse, dem unabhängigen Dachverband der Arbeitnehmenden in der Schweiz mit total 11 Mitgliedverbänden. In dieser Funktion ist sie auch Kampagnenleiterin der Vaterschaftsurlaubs-Initiative, die gemeinsam mit drei anderen Dachverbänden lanciert wurde.

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