Bei der Personal Swiss, der Fachmesse für HRM und Recruiting, die am 17. und 18. April in Zürich stattfindet, ist betriebliches Gesundheitsmanagement eines der Fokusthemen. Samuel Maurer, Co-Geschäftsleiter von lifetime health, wird zu diesen Themen bei der Personal Swiss gleich zwei Vorträge halten. Wir haben uns vorab über die Wichtigkeit und Herausforderungen des BGM unterhalten.
Mathias Steger: Seit wann gibt es lifetime health und wofür steht dieses Unternehmen?
Samuel Maurer: lifetime health wurde 1998 gegründet. Wir bieten umfassende Dienstleistungen zur beruflichen Integration und Gesundheitsbildung im betrieblichen Kontext an. Unser Fokus ist vor allem lösungsorientiert, das heisst, wir möchten Menschen und Organisationen befähigen, ihre eigenen Lösungen zu entwickeln.
Eines der Fokusthemen der Personal Swiss ist betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Was verstehen Sie darunter?
Für mich ist BGM mehr als nur Früchte zu verteilen und verstellbare Schreibtische anzubieten. BGM beginnt für mich bereits bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden, etwa indem zukünftige Mitarbeitende passend begrüsst werden und nach ihren Bedürfnissen gefragt wird, und endet erst mit dem Ausscheiden des Mitarbeiters aus dem Betrieb. Zwischendrin sollte BGM bei sämtlichen Prozessen und strategischen Entscheidungen, bei denen die Gesundheit involviert ist, eine Rolle spielen. Wünschenswert wäre, dass es BGM eigentlich gar nicht mehr geben muss. Wenn sämtliche Prozesse automatisch in Unternehmen gesundheitsfördernd gestaltet werden, dann würde es gar keine spezielle Vorgangsweise mehr benötigen. Aber so weit sind wir noch nicht.
Warum ist betriebliches Gesundheitsmanagement notwendig?
Menschen sind nach wie vor der wichtigste Faktor bei der Umsetzung einer Dienstleistung oder Herstellung eines Produkts in einem Unternehmen. Daher ist es entscheidend, dass Mitarbeitende gesund bleiben und sich bei ihrer Arbeit wohlfühlen. Die Arbeit selber nimmt für die meisten von uns einen bedeutenden Teil im Leben ein, daher sollte es Mitarbeitenden im Job gut gehen. Und dazu braucht es BGM. Wenn sich Mitarbeitende wohlfühlen, dann ist das auch für das Unternehmen gewinnbringend, weil sie gerne zur Arbeit kommen und eine bessere Leistung erbringen.
Für mich ist BGM mehr als nur Früchte zu verteilen und verstellbare Schreibtische anzubieten.
Was sind Ihrer Meinung die wichtigsten Faktoren für gesundheitliches Wohlbefinden am Arbeitsplatz?
Das Wichtigste ist für mich, dass sich die Mitarbeitenden bei ihrer Tätigkeit wohl fühlen. Dabei beziehe ich mich gerne auf die Selbstbestimmungstheorie von Ryan. Dabei geht es darum, dass Menschen nach drei wesentlichen Faktoren streben: Autonomie, soziale Eingebundenheit und Kompetenzen. Autonomie soll sich in der Organisation so widerspiegeln, dass Mitarbeitende mitbestimmen dürfen und Entscheidungen treffen können, um sich zu verwirklichen. Bei der sozialen Eingebundenheit spielen Teamarbeit und gegenseitige Anerkennung und Unternehmenskultur eine grosse Rolle. Der Bereich Kompetenzen soll sich im Betrieb so manifestieren, dass die Mitarbeitenden in allen Hierarchiestufen Aufgaben haben, die ihren Fähigkeiten entsprechen und sie fordern. Wenn diese drei Faktoren für die Mitarbeitenden stimmen, dann ist das Unternehmen auf einem guten Weg.
Das heisst, es geht nicht nur um Bewegung und Ernährung?
Richtig, obwohl das eine weitverbreitete Meinung ist. Ich stelle bei Erstkontakten mit Unternehmen sehr häufig fest, dass BGM immer wieder auf Bewegung und Ernährung reduziert wird. Umso mehr sind wir hier gefordert.
Inwiefern können Sie das BGM von Unternehmen beeinflussen?
Wir begleiten Einzelpersonen und Unternehmen in der Gesundheitsförderung. Das geschieht im Rahmen von Weiterbildungen, etwa für Mitarbeitende mit starker körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz, oder für Führungspersonen und Entscheidungsträger, die ein solides BGM in ihrem Unternehmen aufbauen wollen.
Haben Sie das Gefühl, dass sich Schweizer Unternehmen dem BGM bereits ausreichend widmen?
Ich denke, dass Grossbetriebe diesbezüglich besser aufgestellt sind als KMU. Wahrscheinlich weil sie dafür mehr Ressourcen zur Verfügung haben. Allgemein stelle ich häufig fest, dass das BGM noch nicht im gesamten Unternehmen und bei zentralen Unternehmensentscheidungen eingebunden wird. Oft machen Unternehmen erst etwas, wenn es schon zu spät ist. Vor allem bei KMU besteht diesbezüglich noch grosses Potenzial.
Und wie kann ein BGM auch in KMU realisiert werden?
Einer der wichtigsten Faktoren ist das Commitment der Führung. Entscheidungsträger müssen hinter dem BGM stehen. Bereits mit wenigen Mitteln kann einiges erreicht werden – etwa, indem gewisse Prozesse überarbeitet werden, die Wertschätzung von Mitarbeitenden mehr gelebt wird, Pausen sinnvoll gestaltet werden und Platz für Erholung am Arbeitsplatz geschaffen wird.
Wenn sich Mitarbeitende wohlfühlen, dann ist das auch für das Unternehmen gewinnbringend, weil sie gerne zur Arbeit kommen und eine bessere Leistung erbringen.
Kann BGM auch für Employer Branding genutzt werden und wie?
Ja, zum Beispiel mit Zertifizierungen. Etwa durch das Label Friendly Workspace, welches aufzeigt, dass sich Organisationen sehr für Gesundheitsförderung einsetzen – es ist jedoch kostspielig und daher eher für grössere Unternehmen. Wünschenswert wäre für mich, wenn Gesundheitsmanagement bei bestehenden Zertifizierungen vermehrt integriert wäre. So würde das Thema BGM flächendeckender umgesetzt und auch nach aussen getragen. Besonders wichtig ist jedoch, dass diese Kultur bzw. gesundheitsfördernde Umgebung auch gelebt wird. Wenn sich Mitarbeitende wohlfühlen, tragen diese das auch nach aussen, was wiederum gut fürs Employer Branding ist.
Was ist beim Thema Gesundheit am Arbeitsplatz die Rolle der Arbeitgeber und jene des Arbeitnehmers?
Der Arbeitsgeber ist dafür verantwortlich, dass die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz gesund bleiben. Das Arbeitsrecht gibt dazu klare gesetzliche Regelungen. Gesundheitsförderung geht jedoch darüber hinaus. Dabei soll der Arbeitgeber günstige Rahmenbedingungen bilden, damit sich die Mitarbeitenden entfalten können und sich bei der Erbringung seiner Arbeitsleistungen wohlfühlen können. Der Arbeitnehmer auf der anderen Seite soll die Gesundheitskompetenz und Eigenverantwortung mitbringen, denn viele Unternehmen machen zwar Angebote, doch diese werden dann von Mitarbeitenden oft nicht wahrgenommen.
Welche Herausforderungen sehen Sie in Zukunft im BGM?
Vor allem im Bereich der Flexibilisierung der Arbeitszeiten sehe ich grosse Herausforderungen. Flexible Arbeitszeiten sind zwar sinnvoll und zeitgemäss, aber diese Flexibilisierung soll nicht auf Kosten der Arbeitnehmer gehen und es sollten bestimmte Ruhezeiten eingehalten werden. Auch bei der Gender-Thematik und Gleichberechtigung gibt es noch viel Potenzial – bis in die Führungsetagen. Ausserdem sehe ich die Herausforderung, dass Mitarbeitende zukünftig länger arbeiten müssen. Dafür sollten dazwischen immer wieder ruhigere Phasen mit Auszeiten und Zeit für Weiterbildung eingeplant werden können.
Samuel Maurer ist Co-Geschäftsleiter lifetime health, wo er seit knapp 20 Jahren tätig ist, und Vorstandsmitglied bei BGMnetzwerk.ch und Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement und Gesundheitsbildung. Der Experte für BGM und Gesundheitsbildung entwickelt und implementiert Konzepte zur Förderung der Gesundheitskompetenz aller Mitarbeitenden und ihren Organisationen.