Austrittsgespräche – wirklich ein überbewerteter Human Resource Prozess?

Frau, die im Job ihre Sachen packt

In vielen KMUs herrscht heute noch die Meinung, dass es im HR-Management keinen professionellen Austrittsprozess braucht. Die Geschäftsleitung ordnet sogar an, Mitarbeitenden, die das Unternehmen verlassen, weniger Aufmerksamkeit zu geben. Meine Meinung als aktive Personalleiterin mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung geht genau in die gegensätzliche Richtung…

Der Austrittsprozess – Wer hat gekündigt?

Gerade, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen, ist der Fokus auf einen guten und fairen HR-Prozess zu legen. Wir unterscheiden hier weder, ob jemand gekündigt wurde oder selbst kündigt, noch ob jemand in Pension geht oder der befristete Vertrag ausläuft. Jedes Unternehmen sollte hier einen Human Resource Prozess institutionalisiert haben, der in die Unternehmenskultur passt. Selbst Kündigungsgründe, die auf der einen oder anderen Seite eine persönliche Verletzung oder Nichtverständnis auslösen, sollten nach dem ersten Schock durch einen professionellen Human Resource Prozess abgefangen werden. Ausgenommen sind hier fristlose Entlassungen, die aufgrund eindeutiger Verfehlungen entstehen. Aber auch hier gilt: absolute Fairness und Korrektheit mit klaren Absprachen.

Liebesentzug im Human Resource Prozess

Austretende erleben oft einen sogenannten „Liebesentzug“. Informationen werden nicht mehr weitergeleitet und sie werden frühzeitig aus dem Verteiler gelöscht. Da passiert es, dass wichtige Informationen einfach an ihnen vorbeirauschen. Ein Rattenschwanz ist die Folge. Scheidende Mitarbeitende sind nicht im Bilde und können ihre Aufgaben deshalb nicht vollumfänglich abschliessen. Kunden nehmen diese «eingeschränkte Dienstleistung» wahr und interpretieren dies mitunter negativ. Das Image des Unternehmens kann somit enormen Schaden erleiden.

Es ist schwerer, ein gutes Image aufzubauen als abzubauen (Personalmarketing)

Bleiben wir beim Rattenschwanz. Mitarbeitende, die einen Austritt dieser Art erleben, haben gewöhnlich eine höhere Absenzenrate bzw. Fehlzeiten. Sie sind in der Austrittszeit unproduktiver als in der Zeit davor. Sie übergeben ihr Wissen und Know-how nicht vollständig, sondern behalten es bewusst oder unbewusst zurück.
Liebe Arbeitgeber – vergesst nicht: Austretende, die das Unternehmen im Guten verlassen, können immer noch sehr viel zu dem Erfolg der Firma beitragen. Ebenso können sie, wenn der Austritt unfair wird, dem Unternehmen Schaden zufügen. Sei es, dass sie die Gerüchteküche anheizen, oder bei den bleibenden Mitarbeitenden negative Emotionen verursachen – was wiederum Ihrer Employer Brand schadet.
Ein Mitarbeitender, der gekündigt hat oder gekündigt wurde, weiss einen korrekten, wertschätzenden Austrittsprozess zu schätzen. Gekündigte Mitarbeiter erzählen ihren Arbeitskollegen wie auch Freunden oder der Familie, wie dieser wichtige HR-Prozess verlaufen ist. Und auch die Kunden realisieren sehr oft, wie mit Gekündigten umgegangen wird.

Personalmarketing vom Feinsten durch austretende Mitarbeitende

Der Schweizer Arbeitsmarkt kämpft um gute Mitarbeitende und Talente und ist auf Mitarbeiterempfehlungen angewiesen. Diese können auch durch eben diese austretenden Personen geschehen. Auch noch Monate später kann ein ehemaliger Arbeitgeber beim ehemaligen Arbeitnehmer anklopfen, um Informationen/Insiderdetails rund um bestehende Kunden oder Projekte zu erhalten. Ein Mitarbeiter, der einen guten und fairen Austrittsprozess durchlaufen hat, wird Informationen bereitwillig weitergeben.
Auch die Einarbeitung der Nachfolger erfolgt mit Wohlwollen und bestenfalls findet ein guter Know-how-Transfer statt. Dieser HR-Prozess ist unbezahlbar. Grundsätzlich möchten auch scheidende Mitarbeitende ihr Wissen weitergeben und sicher sein, dass es auch ohne sie gut weiterläuft. Sie wollen gewöhnlich einen Schlussstrich ziehen und den Arbeitgeber nicht schädigen. Im Gegenzug erlebt ein neuer Mitarbeiter eine umfangreiche Einarbeitung und kann somit besser und schneller produktiv sein. Diese Human Resource Prozesse formen die Unternehmenskultur.

Auch im Personalmarketing gilt: Geschenke erhalten die Freundschaft

Des Weiteren ist es aber auch wichtig, wie ein Arbeitnehmer verabschiedet wird. Wird ein Abschiedsgeschenk überreicht? Oder sogar ein Apéro organisiert? Wie ist die Information im Unternehmen zum Austritt? Wann wird informiert? Erfolgt nur eine kurze, sachliche Information im Intranet oder wird im geselligen Rahmen der Austritt zelebriert? Es empfiehlt sich, dass ein Mitarbeiter einen kleinen Abschied, eine kleine Rede oder sogar ein Geschenk bekommt. Welcher Rahmen hier passend ist, entscheidet das Unternehmen. Egal für welche Form der wertschätzenden Verabschiedung Sie sich entscheiden, die Wirkung auf die bleibenden und auf den scheidenden Mitarbeiter wird nicht verfehlt.
Ein Tipp aus meiner Personalerfahrung: Fragen Sie den Gekündigten, ob er diese Art des Austritts überhaupt wünscht. Es kann durchaus kontraproduktiv sein, wenn es für ihn eher eine Tortur bedeutet. Es soll und muss eine Win-Win-Situation sein.

Dinosaurier-Treffen, ein weiterer HR-Prozess

Moderne Unternehmen, die in der Personalbetreuung versiert sind, laden ehemalige Mitarbeitende bis zu 12 Monate nach dem Austritt zu Weihnachtsfeiern ein. Genauso wie Pensionäre noch jährlich zu einer Veranstaltung eingeladen werden. Die liebevolle Bezeichnung Dinosaurier-Treffen ist hier immer noch üblich.

Austrittsgespräche sind hilfreiche HR-Instrumente in jedem Austrittsprozess

Folgende Instrumente gehören unbedingt in diesen wertvollen Prozess des Human Resource Managements.

  • Austrittsgespräch mit dem Vorgesetzten
  • Austrittsgespräch mit dem HR

Immer öfter werden diese Gespräche auch Exit-Gespräche genannt, wobei diese Bezeichnung einen eher negativen Nachgeschmack hinterlässt. Grundsätzlich sollten diese Gespräche keine Angst auslösen und positiv besetzt sein.

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden HR-Gesprächen?

Vorgesetztengespräch/Austrittsgespräch mit dem Vorgesetzten

Hier gilt es, einen gemeinsamen Rückblick zu machen, offene Fragen zu Arbeiten/Kunden/Aufträgen zu klären und gemeinsam abzuschliessen. Informationen zu Projekten und Statusmeldungen werden festgehalten. Der Vorgesetzte soll sich ein umfassendes Bild zu den Arbeiten des gekündigten Mitarbeitenden machen können. Dazu gehört auch, dass im Vorfeld bestimmt wird, wie die Restferien abgebaut werden, ob ein etwaiges Gleitzeit-Plus oder -Minus besteht, und wie nun der letzte Arbeitstag abgeschlossen wird.

Das Austrittsgespräch mit dem HR ist jedoch ein völliger anderer HR-Prozess

Hier steht das offene, ehrliche Feedback zu verschiedenen Kernthemen (Arbeitszeit, Lohn, Kommunikation, Information, Pensionskasse, Weiterentwicklung, Führung, Team, Kultur etc.) im Vordergrund. Das ist die Chance für das Unternehmen, eine ehrliche Meinung zu erhalten. Jetzt werden mögliche Schwachstellen und Missstände offenkundig. Die Aussagen aller scheidenden Mitarbeitenden, z.B. auf ein Jahr ausgewertet, zeigen klar auf, welche Verbesserungsmassnahmen in die Wege geleitet werden sollte. Das können Themen zur Mitarbeiterbindung, die Mitarbeitergewinnung und -entwicklung wie auch zur Ablauforganisation sein.
Optimierungen und Verbesserungen sind damit langfristig möglich. Idealerweise wertet das HR die Austrittsgespräche jährlich statistisch aus. In der Schweiz gibt es immer mehr Unternehmen, die diese Gespräche nur mit den Pensionierten oder Mitarbeitenden führen, die selbst gekündigt haben. Denn es besteht der begründete Gedanke, dass Mitarbeitende, denen gekündigt wurden, aus Verärgerung das Bild der Austrittsstatistik verzerren könnten. Tatsächlich erlebe ich diese unterschiedlichen Bewertungen selbst. Ein Mitarbeiter, der gekündigt wurde, gibt eher ein negatives Feedback ab, als wenn er selber kündigt.
Ich empfehle, hier zwei HR-Statistiken zu erstellen und damit die Unterscheidung der Aussagen sichtbar zu machen. In der ersten Statistik werden Bewertungen der Mitarbeiter erfasst, welche selber gekündigt haben. In der zweiten Statistik sind hingegen die Bewertungen der Mitarbeiter erfasst, die gekündigt wurden. Hiermit erfolgt eine klare Trennung der Aussagen. Das subjektive Empfinden im Zusammenhang mit dem Austritt wird damit sichtbar.

Schlusstipp:

Überreichen Sie das Abschlusszeugnis pünktlich zum vertraglichen Arbeitsende. Das Austrittsgespräch darf hierbei keinerlei Einfluss auf dieses haben. Daher ist es wertvoll, das Gespräch am letzten Arbeitstag zu führen und das Zeugnis davor zu übergeben.
Zum Schluss möchte ich Sie an das Zitat von Michel de Montaigne (französischer Philosoph und Essayist) erinnern, der sagte: Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nicht ausgesprochen hätte.

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