Arbeitswelt 4.0: «Die Fähigkeit, Menschen zu lesen, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch exklusiv den Menschen vorbehalten»

Zwei Referenten erklärten einem gespannten Publikum im Juni am Trendbrunch der International Advertising Association (IAA) die Möglichkeiten, als Unternehmen den Kulturwandel zur Arbeitswelt 4.0 zu meistern. Eine davon ist Yvonne Bettkober, Director Enterprise Solutions Microsoft Schweiz, die erklärt, was Mitarbeitende machen, deren Job in Gefahr ist und warum Führungspersonen in Zukunft nicht mehr führen sollten.

Du hast beim Trendbrunch darüber gesprochen, wie sich die Arbeit 4.0, Produktionsprozesse und das Leben verändern. Inwiefern verändert die Transformation zur Arbeit 4.0 unser Leben?

Früher gab es zwei getrennte Leben: Das Leben von Nine-to-Five und das Leben nach dem Feierabend. Heute gibt es keine Trennung mehr, beide Leben fliessen ineinander. Auch während der Arbeitszeit beantwortet man mal private E-Mails oder bestellt sich online Schuhe. Wenn man dann abends zuhause in der Badewanne liegt, checkt man auch mal die geschäftlichen E-Mails. Die technologische Entwicklung ermöglicht es, beide Welten zu kombinieren und in dieser Parallelwelt zu leben. Das ist nicht immer nur vorteilhaft. Beispielsweise steigt so das Burnout-Risiko, weil man sich nicht mehr komplett von der Berufswelt trennen kann. Umso wichtiger ist deshalb, dass man im Alltag Offline-Zeiten vom Job einbaut. Eine gute Work-Life-Balance zu haben, ist unglaublich wichtig.

Ich glaube schon, dass neue Jobs entstehen werden. Die Schwierigkeit ist, vorauszusehen, welche.

Bis 2020 werden 5 Millionen Jobs – hauptsächlich Routinearbeiten – durch künstliche Intelligenz ersetzt. Sie sagen, das schafft wiederum neue Jobs – wie meinen Sie das?

Neue Jobs entstehen durch neue Bedürfnisse. Beispielsweise hätte man Drohnendesigner vor ein paar Jahren nicht gebraucht, auch Social Media-Analysten hätte man vor ein paar Jahren nicht gebraucht und Sentiment-Analysten schon gar nicht. Doch je mehr Daten vorhanden sind, desto grösser ist die Chance, neue Geschäftsmöglichkeiten voranzutreiben. So spielen Data-Scientists im heutigen Jobmarkt eine grosse Rolle, es ist heute das weltweit meistgesuchte Profil. Vor ein paar Jahren konnte man das noch nicht einmal studieren! Insofern glaube ich schon, dass neue Jobs entstehen werden. Die Schwierigkeit ist, vorauszusehen, welche. Diese Disruption steht noch am Anfang und deshalb verändern sich Trends auch so schnell. So war PokémonGo zum Beispiel 2016 ein globales Phänomen – heute hört man kaum mehr davon. Dafür gibt es heute neue Themen, die diese Stelle einnehmen. Aufgrund der stetig wachsenden Unsicherheit über die Zukunft entpuppt sich auch die Berufswahl für Jugendliche als immer schwieriger.

Für aktuelle Mitarbeitenden gibt es die Möglichkeit von Up-Scaling und Re-Scaling im Job – was bedeutet das?

Up-Scaling ist, wenn man sich digitale Zusatzkompetenzen zum Job aneignet. Beispielsweise ist es bei einem Konstrukteur wichtig, dass er in der Lage ist, einzuschätzen, wo Fehler entstehen könnten und wie er sein Werk umsetzen optimal kann. In Zukunft wird es für Ihn immer wichtiger, dass er einen Plan lesen kann, der digital erstellt worden ist und dass er ein Gerät anwenden kann, welches das fertige Gebäude in Augmented Reality in der reellen Umgebung zeigt – damit er daraus dann auch Entscheidungen treffen kann. Re-Scaling ist, wenn man Mitarbeitenden, deren Arbeit nicht mehr notwendig ist, hilft, durch Aus- und Weiterbildungen neue Bereiche zu entdecken. Künstliche Intelligenz beispielsweise braucht keine Programmiererfahrung. Ich habe von einer Firma gehört, die ihre eingesessenen Mitarbeiter darin trainierte, vorgefertigte Algorithmen zu nutzen, um neue KI-Lösungen zu entwickeln, wie beispielsweise Bots. Das Skript eines Bots zu schreiben dauert heute maximal zwei Tage – und das kann jeder erlernen. Und solche Mitarbeiter könnten dann auch neue Apps entwickeln, die entweder Kunden oder der internen Zusammenarbeit nützen.

Durch Empathie und Kreativität sieht man die Berufe, in denen auch langfristig die menschliche Arbeitskraft sehr wichtig bleibt.

Kreativität und Empathie können nicht von Robotern ersetzt werden – sind diese Eigenschaften die Lösung für alle, die vor der Zukunft Angst haben?

Nicht die einzige Lösung, aber zumindest ein Indikator dafür, welche Jobs schwer zu ersetzen sind. Altenpflege, zum Beispiel, ist sehr, sehr schwer zu digitalisieren. Denn dafür sind beide Dinge wichtig: Für die richtige Patientenansprache braucht es Kreativität und um die Gefühlslage zu verstehen, braucht es Empathie. Ein Roboter kann erkennen, wenn eine alte Person im Bett liegt, aber der Roboter müsste den Puls messen, um herauszufinden, ob sie einfach nur schläft, im Koma liegt oder verstorben ist. Das heisst, die Fähigkeit, Menschen zu lesen, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt noch exklusiv den Menschen vorbehalten. Durch Empathie und Kreativität sieht man die Berufe, in denen auch langfristig die menschliche Arbeitskraft sehr wichtig bleibt.

Welche Challenges birgt diese Transformation für Führungskräfte?

Die grösste Challenge ist, dass man nicht mehr führen kann (lacht). Es geht am Ende bei einer Führungskraft darum, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu steigern, sei es in Form von Umsatz oder Profitabilität. Doch Wettbewerbsfähigkeit kann nur durch neue Produkte oder neue Ideen von Mitarbeitenden entstehen. Und wenn man will, dass die Mitarbeitenden in diese Richtung denken, darf man es ihnen nicht vorgeben – vielmehr muss man für diese Denkweise das passende Umfeld schaffen. Das Umfeld entsteht durch die Kultur – deshalb nennen wir bei Microsoft unseren CEO auch Chief Culture Officer. Und wenn man in ein Umfeld investiert, in dem Menschen intrinsisch motiviert sind, kreativ zu denken und sich nicht kritisiert fühlen, hilft das, damit es nicht in die falsche Richtung geht. Insofern geht es weniger um Führung, sondern vielmehr darum, Bewegung im Unternehmen zu ermöglichen.

Also werden Führungspersonen überflüssig?

In einigen Bereichen bestimmt. Aber beispielsweise in grossen Produktionsbetrieben bzw. generell bei mechanischen Arbeiten wird es diese bisherige Form von Führung nach wie vor brauchen. Für Arbeiten, in denen es mehr um Kreativität und Differenzierung geht, jedoch immer weniger.

Yvonne Bettkober ist Director Enterprise Solutions Microsoft Schweiz, beschäftigt sich unter anderem mit der Thematik Arbeitswelt 4.0. 

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